„Source gave every impression of being a solid and reliable individual. While there is no doubt that he is a skilled mechanic, his standard of intelligence appreared to be rather below average.“[1] – so lautete 1950 die nüchterne Einschätzung von Captain M. Drake, einem Angehörigen der britischen Armee, genauer der „Field Security“ (FS), in Österreich zu Miloš Janaček. Die beiden Männer saßen sich am 13. Februar 1950 gegenüber – Janaček war von einer der in Wien stationierten Einheiten der FS zu einem Gespräch eingeladen worden. Er folgte der Einladung, und wurde von Cpt. Drake zu seinem Leben in der Tschechoslowakei befragt.
Für Ctp. Drake war Janaček nur einer von Tausenden sogennanten „Illegal Frontier Crossers“ (kurz: IFCs), die die FS für das britische „Joint Intelligence Bureau“ (JIB) in der britischen Besatzungszone ausfindig gemacht hatte und über ihre Herkunftsstaaten befragte. Diese Befragungen waren Teil einer groß angelegten Operation, die den Tarnnamen „Wringer“ erhielt. Sie sollte den britischen Geheim- und Nachrichtendiensten dabei helfen, aktuelle Informationen über die Sowjetunion und ihre „Satellitenstaaten“ wie etwa Ungarn oder die Tschechoslowakei, zu bekommen – eines der Hauptdefizite aus Sicht der britischen Dienste. Nach Kriegsende hatten die Briten feststellen müssen, dass sie für den sich bereits abzeichnenden Konflikt mit dem ehemaligen Kriegsverbündeten Sowjetunion sehr schlecht vorbereitet waren und keinerlei Vorstellung von dessen militärischen, technischen, wirtschaftlichen oder auch wissenschaftlichen Kapazitäten hatten. Das 1945 gegründete JIB sollte diese Lücke schließen und Informationen über die Sowjetunion und Osteuropa beschaffen. Die von den Briten besetzen Teile Österreichs und Deutschlands erwiesen sich als sehr gutes Terrain für diese Aktivitäten: Die dorthin geflohenen Menschen aus Osteuropa wurden schon bald als gute, zahlreich verfügbare und zuverlässige „Informationsquellen“ bewertet – das „Wringer“-Projekt war geboren.
Die Operation lief von 1949 bis zum Ende der Besatzungszeit 1955 und wurde in Österreich von einer eigenen „Austrian Branch“ des JIB in Wien und einem „JIB Center“ in Graz durchgeführt. Die Befragungen übernahmen die in der gesamten britischen Zone in Kärnten und der Steiermark stationierten Sektionen der FS. Sie gingen dabei sehr methodisch vor – sie machten gezielt Geflohene aus Osteuropa aus, kontaktierten sie und luden sie gegen kleine finanzielle Entschädigungen zu „Gesprächen“ ein. Diese wurden dann in Berichten zusammengefasst und an das JIB in London übermittelt. Wie viele Interviews das JIB und die FS in Österreich durchführten, ist noch nicht geklärt – es müssen zehntausende gewesen sein. Die einzigen Zahlen, die vorliegen, stammen aus einem Bericht des britischen MI5 für das Jahr 1950: laut diesem wurden von Februar bis November 1950 insgesamt 1417 Befragungen mit „IFCs“ durchgeführt. Dies bedeutet für diesen Zeitraum rund 141 Befragungen pro Monat bzw. rund fünf Befragungen pro Kalendertag. Allein im Oktober 1950 waren es 163 Befragungen.[2] Daraus ergab sich eine große Sammlung an Berichten mit Informationen zu ganz Osteuropa. Einige hundert dieser Berichte sind heute in den National Archives in London und den Security Archives in College Park in Washington D. C. (viele der Berichte wurden auch mit den US-amerikanischen Kollegen geteilt) für die Forschung zugänglich.
Auch zu Miloš Janačeks Befragung liegt ein solcher „Interrogation Report“ vor. Er bildet einen großen Teil seiner Biografie ab. Janaček war nur wenige Tage vor seiner Befragung, am 6. Februar 1950, aus der Tschechoslowakei nach Niederösterreich gekommen und durch die sowjetische Besatzungszone nach Wien gelangt. 1924 in Hlinsko v Čechách geboren, besuchte er nach der Grundschule eine Hochschule für Industrie. Nach Abschluss der Ausbildung arbeitete er ein Jahr lang als Techniker in Prag, bis er im März 1944 als ziviler Zwangsarbeiter nach Magdeburg verbracht wurde, um in den dortigen Junkers-Werken zu arbeiten. Im März 1945 kehrte er nach Hlinsko v Čechách zurück und arbeitete bis 1948 für „Tezegrafia“ in Pardubice. Im September 1948, sieben Monate nach der kommunistischen Machtübernahme, wurde Janaček für ein Jahr zum Armeedienst eingezogen. Kurz nach dem Austritt aus der Armee erhielt er eine Arbeitsstelle in einer Fabrik des Kombinats „Elektro Praga“ in Straž nad Nisou nahe Liberec, wo er bis zu seiner Flucht nach Österreich arbeitete.
Für seine letzte Arbeitsstätte interessierte sich das JIB offenbar besonders. Janaček informierte die Briten über die Produktpalette (elektrisches Zubehör wie Schalter, Fassungen, Sicherungen etc.), über die Belegschaft (rund 500 Beschäftigte) und über die Verteilung der gefertigten Waren. Janaček fertigte auch eine Planskizze des Fabrikgeländes an, die dem Befragungsbericht beigelegt wurde. Die Fabrik verfügte laut Janačeks Informationen auch über einen eigenen Wachdienst, bestehend aus rund 50 Arbeitern, alle loyale KP-Mitglieder, die mit Handfeuerwaffen und Gewehren bewaffnet am Tag das Tor bewachten und in der Nacht am Gelände patrouillierten.
Besonders umfangreich berichtete Janaček über das Management und Vorarbeiter in der Fabrik – einige von ihnen wurden offenbar von britischer Seite als „persons of interest“ geführt. Das JIB interessierte sich etwa für den Direktor der Fabrik und den Führungszirkel um ihn, der ausschließlich aus Mitgliedern der Kommunistischen Partei bestand. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf Personen, die „reliable Anti-Communist“ waren d. h. laut Janaček antikommunistisch eingestellt waren. Bei einer der angeführten Personen, einem Arbeiter namens Jaromir Kutil, findet sich sogar ein Vermerk, dass dieser bereit wäre, Informationen weiterzugeben bzw. Personen bei sich zu verstecken – eine Möglichkeit für eigene nachrichtendienstliche Operationen in diesem Bereich. Die FS scheint genau deshalb bei Janaček zu Kutil nachgefragt zu haben, um ihn als potentiellen „Kollaborateur“ besser einschätzen zu können. Dabei stellte man offenbar fest, dass eine Zusammenarbeit mit Kutil aber schwierig werden könnte: „It should be noted, however, that he [Kutil] is not a brave individual.“[3]
Strategisch-militärische Informationen konnte Janaček dem JIB offenbar nicht bieten. Janaček konnte etwa über das militärische Flugfeld nahe Hradec Kralove, die dortige Ausbildungsstätte für Militärpiloten, und die dort stationierten Flugzeuge kaum Auskunft geben: Janaček wusste lediglich über ein paar Flugzeugtypen und Versorgungsmängel (v. a. bei Propellern und Reifen) zu berichten.
Bemerkenswerterweise ist in diesem Bericht kein Vermerk zu einer Frage, die in nahezu allen verfügbaren Berichten vorkommt, zu finden– zu Methodik und Route seiner Flucht. Anfang der 1950er-Jahre war die Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Österreich noch kaum gesichert – die Grenzsicherungen des späteren „Eisernen Vorhangs“ wurden hier erst ab Mitte der 1950er-Jahre errichtet. Dennoch war die Frage der Fluchtrouten und -helfer für das JIB eine wichtige Sache – auf diese Weise wollte man in Erfahrung bringen, an welchen Punkten die Grenze besonders „durchlässig“ war, um diese Wege für die eigenen Leute und Operationen zu nutzen. Und wenn es ein Flüchtling nach Österreich geschafft hatte, konnte man sich aus Sicht des JIB zumindest sicher sein, dass es auf dieser Route funktionierte – schließlich hatte dies schon jemand erfolgreich „ausprobiert“. Janaček konnte bzw. wollte offenbar über seine Flucht nach Österreich keine interessanten Informationen liefern, weshalb dieses Thema im Bericht ausgespart wurde.
Menschen wie Miloš Janaček waren für westliche Nachrichtendienste wie das britische JIB oder auch den US-amerikanischen CIC im frühen Kalten Krieg eine sehr interessante und auch wichtige Quelle. Flüchtlinge wie er konnten Informationen über Gebiete liefern, zu denen die westlichen Dienste zu diesem Zeitpunkt keinen Zugang hatten und kaum etwas wussten. Die durch ihre Befragungen zusammengetragenen Detailinformationen sollten die Basis für eine Einschätzung des neuen Hauptgegners Sowjetunion werden und damit auch eine Handlungsgrundlage für die eigenen Aktivitäten bieten. Und Österreich sollte als „Operationsgebiet“ in diesen Überlegungen noch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Verfasser: Dieter Bacher
Mag. Dieter Bacher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung und Mitglied des first-Forschungsverbundes Migration.
[1] NARA, RG 319, Box 2149, interrogation report of Miloš Janaček, S. 1.
[2] TNA, DEFE 21/33, Report on Intelligence Organisation, Allied Commission for Austria (British Element), 15.11.1950, S. 6.