Zum Abschluss seiner zweieinhalbjährigen Laufzeit organisierte der first-Forschungsverbund Migraton einen internen wissenschaftlichen Workshop und in Kooperation mit dem Museum Niederösterreich die Veranstaltung „Migration erzählen“, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richtete.
Der interne, international besetzte, Workshop widmete sich am 29. November 2018 dem Thema „Hin, zurück und weiter. Die vielen Wege der Migrationsgeschichte“. Während Migration meistens als ein Ortswechsel in eine bestimmte Richtung verstanden wird, diskutierten die Mitglieder des first-Forschungsverbundes Migration mit nationalen und internationalen Expert*innen die Vielgestaltigkeit des Phänomens und die teils fließenden Grenzen zwischen Migration und Mobilität. So erwiesen sich etwa orthodoxe Nonnen im osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts als ein hervorragendes Fallbeispiel, um die vielfältigen Bewegungen – „Hin und Her“, „Hin und Weiter“ oder auch „Hin und Zurück“ – zu analysieren. Zugleich zählten diese Nonnen zu den wenigen weiblichen Gruppen, deren Mobilität im osmanischen Reich sozial akzeptiert war, wie Evguenia Davidova von der Portland State University ausführte.
Viele der Beiträge fokussierten auf die verschiedenen Praxen der Migrant*innen im Wechselspiel mit den Regulierungsversuchen institutioneller Akteure und machten dabei in vielen Fällen Formen der Autonomie und Handlungsspielräume sichtbar – ohne zugleich die strukturellen Rahmenbedingungen außer Acht zu lassen. Die Beiträge des Workshops werden in der „Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften“ (Ausgabe 1/2020) veröffentlicht.
Zum Auftakt der dreiteiligen Veranstaltung „Migration erzählen“ wurde der Film „Last Shelter“ von Gerald Igor Hauzenberger gezeigt. Der Film dokumentierte den Protest einer Gruppe von „refugees“, die im Jahr 2012 die Votivkirche in Wien besetzte. Das Gespräch mit dem Regisseur im Anschluss war überaus lebhaft. Es wurde dabei der große Gesprächsbedarf im Hinblick auf die Flüchtlingsthematik im Allgemeinen und speziell auf den Umgang mit Flüchtlingen in Österreich sichtbar.
Die Impulsvorträge am Vormittag des 30. November standen unter dem Motto „Migration – forschen, sammeln, ausstellen. Lernen?“. Anne Unterwurzacher und Dieter Bacher stellten die Arbeit des first-Forschungsverbundes Migration vor, thematisierten die Herausforderung der interdisziplinären Zusammenarbeit und diskutierten die verschwimmenden Grenzen zwischen Flucht und ökonomisch motivierter Migration. Sabine Veits-Falk stellte das Salzburger Migrationsarchiv vor, welches seit Mai 2014 am Salzburger Stadtarchiv angesiedelt ist. Seit Mai 2017 sind die unterschiedlichen Sammlungen – etwa die Sammlung Migrationsstadt Salzburg, die Sammlung Migrationsbiographien, Sammlung Ungarn Flucht 1956 und viele andere mehr – online abrufbar (https://www.stadt-salzburg.at/migrationsdatenbank/default.aspx).
Regina Wonisch belegte am Beispiel zahlreicher regionaler Initiativen, dass das Thema Migration auch in Österreich in den Museen angekommen ist. Allerdings findet Migration bislang überwiegend in Form von Sonderausstellungen Eingang, die zu bestimmten Anlässen wie etwa den Anwerbejubiläen mit der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien konzipiert werden. Migration bleibe daher vielfach ein „Sonderthema“ – so die Museumsexpertin. Wichtig sei es daher Migration als ein Querschnittsthema in Dauerausstellungen zu inkludieren.
Am konkreten Beispiel des Projektes „Geschichte gemeinsam verhandeln. Jugendliche befragen 100 Jahre Republik“ veranschaulichte Eva Kolm von KulturKontakt Austria, inwieweit kulturelle Bildung zu Geschichtsvermittlung in der Migrationsgesellschaft beitragen kann. In 30 überaus spannenden Projekten erarbeiteten sich Schüler*innen einen individuellen Zugang zu 100 Jahren österreichischer Republikgeschichte. Es wurden dabei Ansätze von forschendem Lernen mit einem künstlerisch-ästhetischem Zugang kombiniert. Die Projekte sind abrufbar unter: www.kulturkontakt.or.at/beispiele
Beim anschließenden Aktionsnachmittag unter dem Motto „Warum kommst du? Warum gehst du?“ wurden in mehreren Stationen im Haus der Geschichte die vielen Geschichten der Migration sichtbar gemacht. Schüler*innen und weitere interessierte Besucher*innen konnten sich im Rahmen einer Rätselrallye durch die Ausstellung und in Gesprächen mit Expert*innen mit dem Thema beschäftigen.
Das Team des first-Forschungsverbundes Migration dankt Sabine Veits-Falk (Migrationsarchiv Stadt Salzburg), Niklas Perzi (Zentrum für Migrationsforschung), Ali Özbaş (Verein JUKUS), Gerhard Milchram (WienMuseum) und Christoph Lind & Philipp Mettauer (INJOEST) für die interessanten Einblicke in aktuelle und vergangene Ausstellungen und Forschungsprojekte und Eva Kolm für die Bereitstellung von Tipps für Lehrer*innen.