Am 24. April 2018 veranstaltete das Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich ein Zeitzeugen-Forum „Erzählte Geschichte“ mit sowjetischen Besatzungskindern in Niederösterreich. An dieser Veranstaltung beteiligte sich first mit dem temporären Sonderformat „Museum des Augenblicks“ und zeigte Objekte aus der Besatzungszeit. Zwei Kopfbedeckungen von Uniformen standen stellvertretend für die hundertausendenden sowjetischen Besatzungssoldaten, die zwischen 1945 und 1955 in Österreich stationiert waren.
Das Schiffchen M1935, die „Pilotka“ gehörte zur Ausstattung der Rotarmisten, die im April und Mai 1945 Österreich befreiten. Vor allem in dieser ersten Phase kam es auch zu zahllosen Vergewaltigungen. Die spätere Phase der Besatzungszeit symbolisiert die Tellerkappe, die ab 1952 Teil der Uniform war. Zu jeder Zeit waren den Besatzungssoldaten Beziehungen mit Österreicherinnen verboten, aber dennoch gab es Liebschaften, Affären und „Überlebensprostitution“. Falls aus dieser Verbindung ein Kind hervorging, bedeutete dies in der Regel den sofortigen Abzug des Besatzungssoldaten. Mindestens 30.000 sowjetische Besatzungskinder wuchsen in Österreich vaterlos auf.
Erst in den letzten Jahren rückten diese in den Fokus der Forschung. An diesem Abend sprach die wissenschaftliche Expertin dieses Themas Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung (first-Institut), mit drei Betroffenen – Eleonore Dupuis, Tatjana Herbst und Gerhard Verosta. Die drei „Kinder des Feindes“ dieses Abends haben in ihrer Kindheit sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die aber stellvertretend für viele Besatzungskinder gesehen werden können.
Tatjana Herbst erlebte Diskriminierung, wurde als „Russenkind“ beschimpft. Gerhard Verosta dagegen wusste 58 Jahre lang nichts von seiner Herkunft. Eleonore Dupius ist noch immer auf der Suche nach ihrem Vater und ihren Wurzeln, während den anderen nach Jahrzehnten der Kontakt zu ihren russischen Verwandten gelungen ist. Doch allen ist die Liebe zur russischen Seele gemeinsam.
Mit am Podium war Olexander Scherba, Botschafter der Ukraine, der dem unbekannten Schicksal seines Großonkels nachgeht. Dieser war während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter in Österreich und danach als Besatzungssoldat. An dem Gespräch beteiligte sich auch Gerhard Mader, Begründer des Vereins „Österreich findet Euch“, der bei der Suche der Besatzungskinder nach Verwandten Unterstützung bietet. Das Zeitzeugen-Forum bot Platz für persönliche Anmerkungen anderer Besatzungskinder aus dem Publikum. Die Gespräche und neuen Kontakte wurden anschließend bei Brot und Wein vertieft.
Bericht und Fotos: first / Julia Köstenberger, 27.4.2018