Der 2020 gegründete Forschungsverbund hat zum Ziel, Lager und lagerähnliche Einrichtungen, die auf dem Gebiet des heutigen Niederösterreich errichtet wurden, zu lokalisieren, systematisch zu verzeichnen und mittels inter- und transdisziplinärer Zugänge zu erforschen. Die Kriege und Diktaturen des 20. Jahrhunderts brachten es mit sich, dass viele Menschen zeitweise in Lagern untergebracht und im Extremfall, vor allem in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, darin sogar ermordet wurden. Als Begleiterscheinungen von Krieg, (Zwangs-)migrationen, Repression und sozialen Experimenten wurden Lager zum Signum der Moderne. Zygmunt Bauman bezeichnete das 20. Jahrhundert passend als „Jahrhundert der Lager“, aber auch im 21. Jahrhundert bleiben bestimmte Lagertypen allgegenwärtig.
Im Rahmen des Verbundes werden die ansonsten getrennten Forschungsfelder (Forschungen zu Kriegsgefangenen, KZ-InsassInnen, ZwangsarbeiterInnen, Inklusionslagern zur Erziehung und Umformung des „deutschen Volkes“, DPs und Geflüchteten) stärker miteinander verknüpft. Auf diese Weise können die unterschiedlichen Funktionen sowie Kontinuitäten, Diskontinuitäten und Aspekte des Wissenstransfers in der Entwicklungsgeschichte dieses räumlichen Macht- und Herrschaftsinstrumentes differenzierter als bislang untersucht werden.
Im Rahmen von ortsbezogenen Fallstudien sollen die „Innenwelten“ der Lager, die mit der Lagerunterbringung verbundenen subjektiven Erfahrungen, die Praktiken des Umgangs der Menschen mit den jeweiligen Lagerbedingungen ebenso ausgelotet werden wie auch die Verflechtung ausgewählter Lager mit der unmittelbaren und mittelbaren Umgebung. Zur Schaffung einer fundierten Wissensbasis (Grundlagenforschung) legt der Verbund ein besonderes Augenmerk auf die Sicherung von Quellen (Dokumentationen und Archivalien) und vorhandenem Wissen zu den Lagerorten bzw. den dort untergebrachten Personengruppen.
Ebenso wichtig sind Fragen von Erinnerungskulturen, der Wissensvermittlung sowie der Entwicklung von innovativen Formaten, die eine partizipative Wissensproduktion seitens der interessierten Öffentlichkeit ermöglichen („Citizen Science“ und „digitale Forschungsplattform“).
FV-Leitung: Edith Blaschitz (2020-2022: Dieter Bacher)
Laufende Projekte:
- Projekt: „Lagerunterbringung in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs: Nachkriegsgeschichte und Erinnerung“
Projektleitung: Barbara Stelzl-Marx (BIK)
Projektteam: Dieter Bacher (BIK), Katharina Bergmann (BIK), Hannes Leidinger (BIK), Martin Sauerbrey (BIK), Anne Unterwurzacher (IAI)
Projektlaufzeit: Jänner 2022 – Dezember 2024
Fördergeber: FWF
Weitere Info: Neues FWF-Forschungsprojekt; siehe auch FV Migration
- Projekt: „NS-‚Volksgemeinschaft‘ und Lager im Zentralraum Niederösterreich“
Projektleitung: Martha Keil (INJOEST)
Projektteam: Janina Böck-Koroschitz (INJOEST), Tina Frischmann (INJOEST), Christoph Lind (INJOEST), Philipp Mettauer (INJOEST), Edith Blaschitz (UWK), Karin Böhm
Projektlaufzeit: Jänner 2022 – Dezember 2024
Fördergeber: NÖ Landesregierung
Weitere Info: NS-Lager Niederösterreich
Abgeschlossene Projekte:
- Projekt: „Spuren lesbar machen im NS-Zwangsarbeiterlager Roggendorf/Pulkau – Labor zu Kunst, Partizipation und digitalen Räumen“
Projektteam: Rosa Andraschek (Künstlerin), Clemens Baumann (FH St. Pölten), Edith Blaschitz (UWK), Martin Krenn (Künstler), Wolfgang Gasser (INJOEST), Thomas Moser (FH St. Pölten), Sylvie Petrovic-Majer (OpenGLAM) , Alexander Schlager (FH St. Pölten), Heidemarie Uhl (ÖAW), Georg Vogt (FH St. Pölten), Daniela Wagner (UWK).
Projektlaufzeit: November 2021 – Dezember 2022 (Verlängerung bis April 2023)
Fördergeber: Landesregierung Niederösterreich & Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport
Weitere Info: Spuren lesbar machen
Publikationen:
- Dieter Bacher, A menekültek mint informátorok. A „WRINGER“-program és a magyar menekültek Ausztriában [= Flüchtlinge als Informanten. Das „WRINGER“-Programm und ungarische Flüchtlinge in Österreich], in: Magdolna Barath, Nora Szeker (Hg.), Ügynökhistóriák a Lajtán innen és túl. Hírszerzéstörténeti tanulmányok [= Agentengeschichte über Lajtan und darüber hinaus. Studien zur Nachrichtendienstgeschichte]. Budapest, Pécs 2020, S. 59–75.
- Janina Böck-Koroschitz: Auf den Spuren eines Wiener Madrich. Hachschara in Österreich am Beispiel von Zwi Rechter. In: Sabine Hödl (Hg.), Jüdische Geschichte ist uns anvertraut. Festschrift für Martha Keil (Wien 2023), 202–214.
- Janina Böck-Koroschitz: Hachschara – Die Vorbereitung jüdischer Jugendlicher in Österreich für die Auswanderung nach Palästina/Erez Israel 1920–1942. In: Anja Grebe (Hg.) Zeitschrift des ÖGL, Neue Perspektiven auf 100 Jahre Kulturerbe Niederösterreich (Wien 2023), 4–8.
- Benjamin Grilj, „Leider tanze ich nicht mehr im lila Nachthemd“. Die vielfältige Bedeutung von Kleidung in den Todeslagern Transnistriens. In: Institut für jüdische Geschichte Österreichs (Hg.): Kleider machen Juden. Jüdische Kleidung, Mode und Textilproduktion zwischen Selbstbestimmung und Zwang, St. Pölten 2023, S. 54–65.