Nach dem Ende der Habsburgermonarchie war unklar, was mit ihren ehemaligen Staatsbediensteten in den Nachfolgestaaten (Italien, SHS Staat, Tschechoslowakische Republik, Polen, Rumänien) geschehen sollte, die nicht in den Dienst dieser Staaten übertreten konnten, wollten oder durften. Diese Unklarheit blieb fast zwei Jahre bestehen, da die Republik Österreich die Ergebnisse des Friedensvertrags von St. Germain-en-Laye abwartete und zudem erst 1920 regelte, wer offiziell als „vertriebener“ Staatsbediensteter galt. Einige wurden des Dienstes enthoben, teilweise unter Gewaltanwendung. Wieder andere waren in Sorge, dass ihre Kinder nicht mehr deutschsprachig bzw. „im deutschen Sinn“ erzogen und ausgebildet werden konnten. Mehrere Tausend österreichische Staatsbedienstete mussten ihre bisherigen Arbeits- und Wohnorte verlassen.
Staatsbedienstetenfragen im November 1918
Der Staat versuchte im Prinzip die Interessen seiner Bediensteten zu wahren und achtete auch auf deren „wohlerworbene Rechte“, die das Dienstverhältnis zwischen Staat und Beamten charakterisieren. De facto wurden alle öffentlich Bediensteten von der Republik übernommen – sofern sie „deutscher Nationalität“ waren. Dieses Kriterium wurde an der Sprache, der Heimatzuständigkeit und dem Bekenntnis zu einer Nationalität festgemacht. Komplizierter war die Lage ehemals habsburgischer Staatsbediensteter „deutscher Nationalität“ in den Nachfolgestaaten. Zum einen waren die finanziellen Mittel der Republik Deutschösterreich knapp und der Arbeitsmarkt im öffentlichen Dienst mehr als gesättigt, sodass Staatsbedienstete aus den Nachfolgestaaten nicht ohne weiteres in den deutschösterreichischen Staatsdienst übernommen werden konnten. Zum anderen wurden einige der Gebiete bis zum Abschluss des Vertrags von Saint Germain von Deutschösterreich ebenso wie den Nachfolgestaaten beansprucht (z.B. Deutschböhmen, Istrien, Südtirol), und es war im Interesse der Republik, deutschsprachige Lehrer, Verwaltungs-, Justiz- und Finanzbeamte in diesen Gebieten zu halten, um argumentieren zu können, dass diese Gebiete von Personen „deutscher Nationalität“ bewohnt und verwaltet werden.
Organisationen für Staatsbedienstete
Es existierten einige staatliche und nichtstaatliche Organisationen, die sich der Staatsbediensteten annahmen. Auf staatlicher Ebene wurde bereits im November 1918 ein „Zwischenstaatsamtliches Komitee“, gegründet, bestehend aus hochrangigen Beamten mehrerer Staatsämter und zuständig für alle Staatsbedienstetenfragen in der jungen Republik. Es liegen viele Anfragen aus den umstrittenen Gebieten an dieses Komitee vor, die von der Verunsicherungen der dort lebenden Staatsbediensteten zeugen. Im Staatsamt für Finanzen wurde eine Geschäftsstelle für Staatsbedienstetenfragen eingerichtet. Sie sollte remigrierte Staatsbedienstete wie auch verfügbare Stellen in der Republik in Evidenz haben, wurde aber nur wenig in Anspruch genommen. Beim Kanzleramt gab es von Juli 1919 bis Oktober 1921 die sogenannte „Schutzstelle für die deutschen öffentlichen Angestellten aus den Nationalstaaten“. Ihre Aufgaben waren die Wahrung der Interessen der vertriebenen oder geflüchteten öffentlichen Angestellten und ihrer Familien, insbesondere deren vorläufige Unterbringung, allfällige Unterstützung und Vermittlung auf neue Stellen.
Nichtstaatliche Organisationen für ehemalige habsburgische Staatsbedienstete waren der deutschnationale „Deutsche Volksrat für Österreich“ (gegründet im Mai 1918 als Dachverband der Deutschen Volksräte in mehreren Ländern der Monarchie), die „Deutsche Mittelstelle“ in Graz, diverse Vereine deutscher Staatsangestellten in den Nachfolgestaaten sowie der „Deutschösterreichischer Verband vertriebener deutscher Staatsangestellten“, gegründet im März 1919. Dieser Verband richtete im Dezember 1919 eine eindringliche Eingabe an die „Schutzstelle“:
„Die Vertriebenen, die ja über das ganze Gebiet Oesterreichs zerstreut sind und deren geringe Zahl keine Rolle spielt, können zwar nicht zu den Mitteln der Strasse greifen oder Streiks inszenieren, wie es sonst heute Mode ist. Dem Verbande liegen aber eine ganze Anzahl von Zuschriften und auch mündliche Aeusserungen von Vertriebenen vor, aus denen hervorgeht, dass sie nunmehr wirklich gänzlich zu Ende ihrer Kräfte angelangt sind. Ihre Familien gehen ihnen zu Grunde, ohne dass sie helfen koennten; wohin sie blicken, nichts als Jammer und Elend und schliesslich der nahe Untergang. […]. Es könnte zu Verzweiflungstaten kommen; es bedarf nicht mehr viel um bei diesen Verzweifelten schliesslich den letzten geringen Rest von Hemmungen verschwinden zu machen, die ein anständiger Mensch auch im größten Unglück noch zu besitzen pflegt; man wird es dann mit Wahnsinnigen zu tun haben.“
Wie viele vertriebene Staatsbedienstete gab es?
Der Endbericht der „Schutzstelle“ aus dem Jahr 1921 listet 1733 Personen auf, die aus den Nachfolgestaaten nach Österreich gekommen waren. Die meisten von ihnen kamen aus Italien; dem Ressort nach machten Finanzbeamte den größten Teil aus. Das Staatsamt für Verkehr listet außerdem noch 4000 vertriebene Eisenbahner auf.
Fluchtbedingungen und Unterstützungsmaßnahmen
Für den Rücktransport von Staatsbediensteten und ihren Familien wurden teils eigene Eisenbahnzüge zur Verfügung gestellt. Aus Triest und den Küstenländern wurden etwa bis zum August 1919 590 Personen transportiert. Bis Jänner 1920 waren Transport auf italienischen Strecken und die erforderlichen Visa kostenlos, danach gab es Ermäßigungen für diese Gruppe. Der letzte von insgesamt 43 Transporten ging am 10. Mai 1921 von Triest ab.
Die Übersiedlungskosten wurden vom Staat übernommen, und bei Bedarf wurden provisorische Unterkünfte bereitgestellt. Flüchtlingslager, in denen vertriebene Staatsbedienstete unterkamen, waren etwa Wagna bei Leibnitz (insbesondere für Lehrerinnen und Lehrer aus der Untersteiermark), Feldbach, Mittendorf sowie Bruck an der Leitha (insbesondere für Eisenbahnbedienstete). Die Unterbringungsbedingungen waren fallweise unzureichend und unhygienisch. In den Unterlagen der „Schutzstelle“ findet sich ein Bericht über die Situation in Bruck an der Leitha mit der Bemerkung, dass ein „längerer Aufenthalt“ „besseren Familien“ nicht zuzumuten sei. Generell wollten geflüchtete Staatsbediensteten aus den Nachfolgestaaten lieber in Städten als in Lagern leben, da sie dort eher Informationen über frei werdende Stellen bekommen konnten. 1921 wird in Akten des Verkehrsministeriums berichtet, dass immer noch eine große Zahl von vertriebenen Eisenbahnern in Waggons wohnte, da zwar Wohnungen für die Vertriebenen errichtet wurden, dieses Angebot aber eher ansässige Eisenbahnbedienstete nutzten.
Fazit
Die Migration vertriebener Staatsbediensteter verlief in den meisten Fällen glimpflich, wiewohl einzelne Fälle von gewaltsamen Übergriffen und Festnahmen vorkamen. Einige Staatsbedienstete waren Schikanen seitens der Nachfolgestaaten ausgesetzt, verloren Teile ihres Eigentums und lebten in Unsicherheit über ihr weiteres Schicksal. Staatsbedienstete wurden zwar in mancher Weise bei ihrer Remigration und beim Finden eines neuen Postens unterstützt, diese Unterstützung funktionierte aber nicht immer optimal. Die betroffenen Personen wurden zeitweise hingehalten und hatten vor Herbst 1920, als entsprechende Richtlinien verabschiedet wurden, keine rechtliche Sicherheit über ihre Position. Letztlich scheinen die meisten der Staatsbediensteten, die sich an die Schutzstelle gewendet hatten, in den österreichischen Staatsdienst übernommen worden sein, der allerdings angesichts von Beamtenabbau, inflationsbedingtem Einkommensverlust und infolgedessen sinkendem sozialem Status zu dieser Zeit keinen sicheren Hafen mehr darstellte.
Verfasserin: Therese Garstenauer
Therese Garstenauer forscht über die standesgemäße Lebensführung österreichischer Staatsbediensteter in der Zwischenkriegszeit. Sie hat eine Elise-Richter-Habilitationsstelle am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien.
Literatur:
Hafner, Herta (1990), Der sozio-ökonomische Wandel der österreichischen Staatsangestellten 1914 – 1924, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien.
Konrád, Ota (2017), Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Beginn der Dreißigerjahre: Grundzüge der Entwicklung, in: Miroslav Kunštát et al. (Hg.), Krise, Krieg und Neuanfang: Österreich und die Tschechoslowakei in den Jahren 1933 – 1948, Berlin, 7 – 22.
Malli, Rüdiger (1988), Das Flüchtlingsproblem in der Steiermark Ende 1918 bis Ende 1919, in: Herwig Ebner et al. (Hg.), Forschungen zur Landes- und Kirchengeschichte. Festschrift Helmut J. Mezler-Andelberg zum 65. Geburtstag, Graz, 321 – 331.
Weber, Franz Christian (1994), Ausgewiesen und stellenlos. Zur Situation repatriierter Lehrer in der Steiermark 1918 – 1920, in: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark LXXXV Jg., 357 – 379.
Archivalien:
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundeskanzleramt/Staatskanzlei 1918 – 1923, Materien-Sonderlegung: Karton 242 Schutzstelle.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundeskanzleramt/Staatskanzlei 1918 – 1923, Materien-Sonderlegung: Karton 246 Staatsbedienstetenangelegenheiten.
Verhandlungsschriften Nr. 1 bis 25 zu den Sitzungen des zwischenstaatsamtlichen Komitees für Staatsbedienstetenangelegenheiten, Wien 1919.
Verhandlungsschriften Nr. 26 bis 50 zu den Sitzungen des zwischenstaatsamtlichen Komitees für Staatsbedienstetenangelegenheiten, Wien 1919.
Bildnachweis: Therese Garstenauer