Noch in der österreichischen Zwischenkriegszeit war der Dienst von Hausgehilfinnen bzw. „Dienstmädchen“ die drittwichtigste Erwerbstätigkeit. Es waren aber fast ausschließlich Frauen (98,5%), die in fremden Privathaushalten kochten, aufräumten, reinigten, Kinder, Ältere oder Kranke betreuten und all die vielen, mühsamen Aufgaben verrichteten, die in den damals noch sehr arbeitsintensiven Haushaltungen anfielen. Obwohl gerade die 1920er Jahre diesen Beschäftigten einige Verbesserungen brachten, blieben sie doch von einigen Errungenschaften der Zeit wie festen Arbeitszeiten oder der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen. Als für andere Arbeiterinnen bereits der Achtstundentag galt, waren Arbeitstage von 13 Stunden für Hausgehilfinnen rechtlich möglich; mehr als die Hälfte von ihnen war aber 14 Stunden und mehr für die Herrschaften auf den Beinen. Viele stellen sich Hausgehilfinnen um 1900 als „Perlen im Haushalt“ vor, die einer fremden Familie über Jahrzehnte treue Dienste leisteten. Aber gerade Hausgehilfinnen blieben selten lange an einem Dienstplatz. Häufig wechselten sie ihre Stellen bereits nach wenigen Wochen oder Monaten und erwiesen sich in mehrfacher Hinsicht als mobil: Auf Postensuche legten sie teils kurze, teils weite Strecken zurück. Viele waren nicht nur in Privathaushalten, sondern auch in der Landwirtschaft, in Fabriken, Gasthäusern oder anderen Betrieben tätig. Sie entflohen der schlechten Behandlung und der harten Arbeit in den Häusern der DienstgeberInnen oder suchten nach einem besseren Auskommen, manche auch nach Abwechslung oder Abenteuern. Die meisten von ihnen waren in ärmlichen ländlichen Familien aufgewachsen. Direkt nach dem Ende der Schulpflicht traten viele Mädchen mit 14 Jahren zum ersten Mal einen Dienst beim Bauern oder in einem fremden Haushalt an.
Auch Hermine Kominek, geboren 1907 in Trasdorf, Niederösterreich, musste bereits als Vierzehnjährige das Elternhaus verlassen. In ihren lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen*, verfasst Mitte der 1980er Jahre, erzählt sie von verschiedenen Stellen in fremden Häusern und in der Landwirtschaft. Einerseits gab sie ihre Posten auf, weil die Eltern dies verlangten oder um gegen die Eltern eigene Vorstellungen durchzusetzen. Andererseits hatte sie mit den widrigen Umständen von Wirtschaftskrisen und Krieg und den damit verbundenen Verschlechterungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Hermine Kominek wurde als zehntes und jüngstes Kind in äußerst arme und schwierige Lebensumstände hineingeboren, die nicht zuletzt am frühen Tod von vier Geschwistern ablesbar sind. Die Familie lebte in oder bei Trasdorf einer „armseligen Keusche“, wie sie schreibt. Diese gehörte einem Bauern. Die Eltern mussten für diesen Tagelöhnerdienste in der Landwirtschaft erbringen, um das kleine Haus und die winzige Landwirtschaft nutzen zu können. Trotz der Anstrengungen der Eltern, die Familie durch Landarbeit, die Führung einer Kleinstwirtschaft oder die Herstellung von Körben oder Holzschuhen zum Tausch/Verkauf zu versorgen, prägten Hunger sowie Nässe, Kälte und Schimmel in der Behausung ihren Alltag.
Angesichts der prekären Umstände und der Abhängigkeit der Eltern vom Bauern war es kaum überraschend, dass Hermine Kominek bei letzterem direkt nach dem Ende ihrer Schulpflicht 1921 den Dienst antreten musste. Durch Mithilfe in der elterlichen Kleinstwirtschaft war sie bereits mit der Versorgung von Tieren und Arbeiten in Haus und Garten vertraut. Auf dem Hof des Bauern hielt Hermine Kominek es aber nicht lange aus: „Nach zirka ¾ Jahren“, schreibt sie, „hatte ich genug, ich spürte, wenn ich nicht bald gehe, komme ich nicht mehr weg, und ich hatte das Los meiner Eltern vor Augen. Ich kündigte trotz grosse[m] Protest, auch meiner Eltern u[nd] ging auf Empfehlung nach Statzendorf bei Herzogenburg zu einem Baumeisterehepaar mit Kind [in den häuslichen Dienst].“
Aber auch diese Episode war nicht von Dauer, obwohl Hermine Kominek die Stelle gefiel. Die Mutter holte sie nach einigen Monaten nach Trasdorf zurück – der Bauer war plötzlich verstorben und die Bäuerin benötigte die Dienste der knapp 16-Jährigen als Tagelöhnerin. Gerade Mädchen, denen seltener als Buben eine Lehrausbildung ermöglicht wurde und die öfter in Haushalt und Garten als Mithelfende herangezogen wurden, rief man später wieder nach Hause, wenn dort Arbeitskräfte benötigt wurden.
Ein weiteres Jahr verging, bis Hermine Kominek einen weiteren Anlauf unternahm, sich dem Zugriff von Bäuerin und Eltern zu entziehen. 1924 begab sie sich auf Dienststellensuche in Wien, wo sich das Leben aber nicht einfacher gestaltete. „In Wien erwarteten mich bittere Jahre der Ausbeutung, die Arbeitslosigkeit u[nd] die Not war groß. Auf ein Inserat für eine Hausgehilfin meldeten sich z.B. 30 Mädchen. Da kann man sich denken, daß man da überhaupt keine Ansprüche machen konnte […].“
Bis ca. 1928 war sie nacheinander in verschiedenen Haushalten in Wien tätig, wo sie überlange Arbeitstage, schwere Arbeit und schlechte Bedingungen in Kauf nehmen musste, um sich zu erhalten. Dann meldete sich wieder die Familie zu Wort. Da ihre Mutter schwer erkrankt war, musste sie heimkehren, die Kleinstwirtschaft führen und die Tagedienste der Mutter übernehmen. Als sich der Zustand nicht besserte, entschlossen sich Hermine Kominek und ihre Geschwister, die Kleinstwirtschaft ihrer Eltern aufzulösen und letztere fortan finanziell zu unterstützen. Hermine Kominek fand wieder eine Stelle als Dienstmädchen, diesmal bei der Familie eines Chefarztes der Nervenheilanstalt auf dem Rosenhügel (heute Wien-Liesing). Trotz der vielen Arbeit in der Villa mit acht Zimmern, Nebenräumen und Garten wurde sie, wie sie schreibt, „erstmals als Mensch behandelt“. So blieb sie im Dienst der Familie, bis der Dienstgeber in Pension ging und mit seinen Angehörigen nach Meran übersiedelte.
Hermine Kominek war daraufhin zunächst in der Klinik am Rosenhügel als Stubenmädchen beschäftigt, wo sie auch untergebracht war. Mit ihrer Heirat ca. 1932 beendete sie diese Tätigkeit aber bald. In den Häusern ihrer DienstgeberInnen Besuche (zumal von Herren!) zu empfangen, war Hausgehilfinnen vielfach verboten. Um sich und ihren arbeitslosen Ehemann über Wasser zu halten, nahm sie ‚Bedienungen‘ für verschiedene gut situierte Haushalte auf: Sie wusch die Wäsche, flickte Kleidung oder half tageweise beim Servieren aus.
Während des Austrofaschismus ab 1933/34 nahm Hermine Kominek gemeinsam mit ihrem Mann außerdem an illegalen Aktivitäten der seit 1934 verbotenen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei teil. Als Oppositionelle waren sie während des autoritären Dollfuß-/Schuschnigg- Regimes 1933/34 bis 1938 und dann durch die NS-Herrschaft von Verfolgung bedroht. Die Eheleute überstanden Razzien gegen SozialdemokratInnen unbeschadet, obwohl der Ehemann Hermine Komineks kurz nach dem „Anschluss“ an NS-Deutschland 1938 zeitweilig inhaftiert worden war. Hermine Kominek, die im Nationalsozialismus als „Vierteljüdin“ galt, sah sich darüber hinaus wie auch ihre Brüder antisemitischen Diskriminierungen und Benachteiligungen durch NationalsozialistInnen ausgesetzt.
Im Österreich der Nachkriegszeit veränderte sich Hermine Komineks Situation maßgeblich – und in beruflicher Hinsicht hatte sie nun erstmals die Möglichkeit, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Sie wollte, so schreibt sie, „endlich eine Arbeit, die mich befriedigte und meinem Geschmack entsprach“. In den 1950er Jahren war sie zunächst in einer Metallwarenhandlung und danach in der rumänischen Handelsvertretung tätig. Später arbeitete sie für einen Filmverleih, wo sie den Aufstieg zur Abteilungsleiterin schaffte.
Verfasserin: Jessica Richter
* Die lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen von Hermine Kominek werden in der Sammlung „Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen“ (Doku) am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien aufbewahrt. Sie sind in Auszügen bereits veröffentlicht worden: Hämmerle, Christa (Hg.): Kindheit im Ersten Weltkrieg (= Damit es nicht verlorengeht … 24), Böhlau-Verlag, Wien/Köln/Weimar 1993. Weber, Therese (Hg.): Häuslerkindheit. Autobiographische Erzählungen (= Damit es nicht verlorengeht … 3), Böhlau-Verlag, Wien/Köln/Weimar 1984.
Quellenangaben Bilder:
Bild 1, 2: Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, mit freundlicher Genehmigung von Hermine Kominek. FotografIn: unbekannt
Bild 3: Privatbesitz Jessica Richter.
Bild 4: Emil Mayer. Titel: Dienstmädchen mit Galanen, Wien (zwischen 1905 und 1914). Public Domain. Quelle: Wikimedia Commons/ Damals in Wien. Menschen um die Jahrhundertwende. Photographien von Emil Mayer. link: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Emil_Mayer_047.jpg
Durchkommen in Krisenzeiten – Die Hausgehilfin und Magd Hermine Kominek (pdf)