„Da es gibt zwei Wahlen […] sterben oder zur Armee gehen als Militärdienst machen und das ist endlich auch Sterben, ja oder mit eine Schlauchboot Griechenland Balkanroute dann zu Europa und […] viele Leute haben die zweite Wahl genommen.“
Arif Assadullah1
Arif Assadullah (Name geändert) ist 28 Jahre alt und seit rund zwei Jahren in Österreich. In seiner Heimat Syrien herrscht seit 2011 Krieg. Deshalb flüchtete er nach Jordanien und später in die Türkei. In der Türkei durfte Arif Assadullah als Flüchtling nicht arbeiten. Mit Gelegenheitsjobs verdiente er sich ein bisschen Geld, um sich davon Essen zu kaufen. Eine zukunftsreiche Perspektive sei das jedoch nicht gewesen, sagt er mir in unserem Gespräch. Darum hatte er sich im Sommer 2015 dazu entschieden, nach Europa zu gehen. Von der Türkei aus ist er mit einem kleinen Schlauchboot über das Meer nach Griechenland gefahren.
Näheres zu seiner Fluchtgeschichte möchte er mir nicht erzählen. Ich habe das Gefühl, dass er sich an die Erlebnisse während seiner Flucht nicht mehr erinnern möchte. Über die sogenannte Balkanroute – Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien – kam er im Herbst 2015 nach Österreich. Sein Ziel war eigentlich, nach Norwegen oder Schweden weiterzureisen.
Arif Assadullah hatte während seiner Studienzeit in Syrien sehr gut Englisch gelernt und sich auch Grundkenntnisse in Deutsch angeeignet. Im niederösterreichischen Transitlager unterhielt er sich mit einem Ehepaar, das dort freiwillig arbeitete, und erkundigte sich über Österreich, in dem er nun gelandet war. Er wollte wissen, wie hier der Arbeitsmarkt aussehe und wie die menschenrechtliche Situation sei. Das Ehepaar sagte ihm, dass es in Österreich zwar schwierig sei, einen Job zu bekommen, aber dass es ein gutes und sicheres Land sei. Wegen dieser Information entschloss sich Arif dazu, in Österreich zu bleiben und nicht weiter nach Norden zu wandern. Aber das war nicht der einzige Grund: Er erzählt, dass die österreichische Landschaft der syrischen sehr gleiche, weshalb er annahm, dass er sich hier heimatlich fühlen könnte. Arif Assadullah zeigt mir Bilder aus Syrien – auch ich bin verblüfft über die Ähnlichkeit der Landschaft. Natürlich gibt es in Syrien auch Wüstengegenden, aber rund die Hälfte des Landes ähnelt der österreichischen Berglandschaft.
Arif Assadullah hat im Spätherbst 2015 in Österreich einen Asylantrag gestellt, der Anfang 2017 genehmigt wurde. In der Zeit des Wartens, in der Arif Assadullah so wie alle AsylbewerberInnen in Österreich nicht arbeiten durfte, engagierte er sich ehrenamtlich bei einer Initiative, die geflüchtete Menschen unterstützt. Neben seinen Dolmetschertätigkeiten schrieb er ein Unterrichtsbuch zum Deutschlernen. Seiner Ansicht nach sind die meisten Unterrichtsbücher aus einer österreichischen Perspektive geschrieben, die für geflüchtete Menschen nicht immer verständlich ist. Arif Assadullah hat deshalb ein Lehrbuch aus der Perspektive eines geflüchteten Menschen geschrieben.
Viele niederösterreichische DeutschlehrerInnen unterrichten nun mit diesem Buch. Weiters bemühte er sich im Rahmen von Veranstaltungen und Vorträgen, ÖsterreicherInnen Syrien näher zu bringen.
Arif wird immer wieder damit konfrontiert, dass ÖsterreicherInnen Syrien als unkultivierten Wüstenstaat ansehen. In unserem Gespräch bringt er dies wie folgt zum Ausdruck:
„[D]as Problem ist nicht, was die Flüchtling über die Osterreicher für Eindruck haben, ist die Gegenteil genau bei meiste Osterreicher glauben, wir kommen von Steinalterland oder […] dass sie sagen diese komische Frage: ‚Habt ihr ein Auto, Waschmaschine‘“.
In Informationsveranstaltungen und Vorträgen über Syrien hat er mit Hilfe von Bild- und Videomaterial versucht, ein neues, wirklichkeitsgetreues Bild von Syrien zu zeichnen.
Nicht nur die Vorurteile, mit denen sich Arif konfrontiert sah, waren für ihn schwierig, auch die Arbeitssuche gestaltete sich nicht einfach. Seitdem Arif Assadullah seinen positiven Asylbescheid bekommen hatte, war er unentwegt auf Arbeitssuche. Er sagt: „[D]das war nicht einfach. Das Problem, die meisten Leute glauben, weil ich Flüchtling bin […] die beste Arbeit ich kriegen kann bei McDonald‘s oder Putzmann oder eine Baufirma oder so weiter, aber […] ich bin Naturwissenschaftler mit Erfahrung […] ich habe auch einen Master in Lebensmitteltechnologie.“ Arif wollte nicht auf Grund seines Flüchtlingsstatus‘ eine unqualifizierte Hilfsarbeit annehmen. Mit seinem in Österreich anerkannten Master-Abschluss in Lebensmitteltechnologie machte er sich auf die Suche nach einem seiner Ausbildung entsprechenden Job. Nachdem Arif rund 150 Bewerbungen geschrieben hatte, und auf die meisten nicht einmal eine Rückmeldung erhielt, fand er einen Familienbetrieb, der ihm die Chance gab, in seinem erlernten Beruf als Lebensmitteltechniker zu arbeiten.
Arif Assadullah ist, wie viele andere geflüchtete Menschen, mehr oder weniger zufällig in Österreich gelandet. Er will nun seine Chance ergreifen und hier ein neues Leben beginnen. Er hofft, die Zuschreibung ‚Flüchtling‘ irgendwann ablegen zu können und als ‚normales‘ Mitglied der österreichischen Gesellschaft zu gelten.
Verfasserin / Interviewerin: Katharina Auer-Voigtländer
Mag. Katharina Auer-Voigtländer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ilse Arlt Instituts für Soziale Inklusionsforschung und Mitglied des first-Forschungsverbundes Migration.
[1] Die Zitate stammen aus einem Interview mit Arif Assadullah (sein Name wurde auf seinen Wunsch hin geändert), welches Katharina Auer-Voigtländer im April 2017 mit ihm führte.
Bildnachweis
Bild 1, 2: Privatarchiv eines Mannes, der seine Flucht über die Balkanroute visuell dokumentiert hat.
Bild 3, 4: https://unsplash.com/search/photos/
Arif Assadullah: Von der Türkei über die Balkanroute nach Österreich (pdf)