Fürsorgepraxis im Kontext der Heilpädagogik in Salzburg von 1945 bis 1970. Erbbiologische und konstitutionslogische Zuschreibungen gegenüber weiblichen Fürsorgemündeln
15. Oktober 2024, 18:00 Uhr | online
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war von Verantwortungsketten einer totalitären und demütigenden Fürsorgepraxis geprägt. (Bezirks-) Jugendämtern oblag es, auf der gesetzlichen Grundlage Fürsorgeerziehung zu verhängen, wenn es scheinbar zu ‚körperlichen, seelischen, geistigen oder sittlichen Verwahrlosungserscheinungen‘ von Kindern und Jugendlichen kam. Anhand der Mündelakten des Salzburger Fürsorgeerziehungssystems nach 1945 können soziale Strukturierungen innerhalb des Fürsorgeerziehungsregimes rekonstruiert werden. Insbesondere in den heilpädagogischen Gutachten der Kinderärztin Ingeborg Judtmann werden geschlechtsspezifische (Fall-) Konstruktionen auf der Grundlage gesellschaftlich-normativer Zuschreibungen sowie erbbiologisch-eugenischer Denkweisen sichtbar.
Vor allem bei Mädchen handelte es sich um eine diffuse Adressierung von ’sexueller und moralisch-sittlicher Verwahrlosung‘. Diese Form der Normierung und Normalisierung von Weiblichkeit formierte und strukturierte sich in Abhängigkeit hegemonialer sowie bürgerlicher Idealvorstellungen von ’sittsamer‘ Weiblichkeit und entsprechenden Familienkonstellationen. Wie sich die Heilpädagogik in Österreich entwickelt hat und welche Legitimationsstrukturen des Eingriffs in die Familie sich in der Aktenführung rekonstruieren lassen, soll im Beitrag aufgezeigt werden.
Zur Person
Vanessa Blaha ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Salzburg in der Arbeitsgruppe Sozialpädagogik. Sie beschäftigt sich vor allem mit aktuellen sowie historischen Themen rund um Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere deren Schnittstellen zur Psychiatrie, Leaving Care, Sexualität und Gender. In ihrem derzeitigen Forschungsprojekt widmet sie sich der „Wissenschaftlichen Aufarbeitung von Gewaltvorkommnissen an der Josef-Rehrl-Schule Salzburg“.
Einführende Worte
Nadjeschda Stoffers (Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, Wien)
Anne Unterwurzacher (Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung)
Open Lecture des Ilse Arlt Instituts für Soziale Inklusionsforschung in Kooperation mit dem first-Forschungsnetzwerk Interdisziplinäre Regionalstudien und dem Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung.